Veranstaltung: | 2. Landesmitgliederversammlung Grüne Jugend Brandenburg 2019 |
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Tagesordnungspunkt: | 3. Sonstige Anträge |
Antragsteller*in: | Johann Lütke Schwienhorst |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 21.09.2019, 12:39 |
A1: Umwelt- und Verbaucher*innenschutz sichern – Gentechnik regulieren
Antragstext
Im gegenwärtigen agrar- und ernährungspolitischen Diskurs wird die neue
Gentechnik (allen voran Crispr/Cas, eine Technolgie mit der DNA zertrennt und
verändert werden kann), zur Lösung komplexer gesellschaftlicher Probleme, wie
der Welternährung oder der Reaktion auf die Klimakrise ins Feld geführt. Keine
mögliche Produktivitätssteigerung durch gentechnische Veränderungen könnte
unseren ausufernden, ressourcenverschwendenden Lebensstil, u.a. mit diesem
übermäßigen Fleischkonsum, kompensieren. Die Fixierung auf technologische
Entwicklungen als Lösung für die genannten Probleme, wie die vermeintliche
Ertragssteigerung durch Agro-Gentechnik, werden als Vorwand genutzt, um die
notwendigen gesellschaftlichen Lebensstilveränderungen wie grundlegende
Maßnahmen zum Klimaschutz durch beispielsweise die erhebliche Einschränkung des
Fleischkonsums, weiter aufzuschieben.
Die Wissenschaft, unter anderem der Weltklimarat (IPPC) und der
Weltbiodiversitätsrat (IPBES) sind sich einig, dass die Industrialisierung der
Landwirtschaft ein Haupttreiber der globalen Klimakrise und des Artensterbens
ist. Es braucht einen Systemwandel in der Landwirtschaft, um diese Krisen zu
lösen - weg von der Agrarindustrie hin zur agrarökologischen, bäuerlichen
Landwirtschaft. Die Agro-Gentechnik ist Baustein für die fortschreitende
Intensivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft und des vorgelagerten
Bereichs, da sie die Patentierung von Saatgut ermöglicht.
Die pflanzenbaulichen Herausforderungen vor die uns die Klimakrise stellt, sind
komplex und durch gentechnische Eingriffe in Pflanzen nicht zu bewältigen.
Extremwetterlagen mit Nässe oder Trockenheit kann nur mit komplexer,
individueller, regionaler- und standortangepasster Landwirtschaft und
Pflanzenzucht begegnet werden. Der Pflanzenbau in der freien Natur umfasst
lokalspezifische Faktoren der Klima- und Bodenbeschaffenheiten sowie ökologische
Wechselwirkungen die keineswegs im geschlossenen System, im Labor berücksichtigt
werden können. Die durch gentechnische Veränderung angestrebte
trockenheitsresistente Pflanze hilft keiner Bäuerin und keinem Bauern im extrem
nassen Jahr. Um der Komplexität gegenwärtiger pflanzenbaulicher
Herausforderungen gerecht zu werden, helfen uns nur robuste und insgesamt
widerstandsfähige Pflanzen aus standortangepasster konventioneller und
ökologischer Pflanzenzucht in dementsprechend widerstandsfähigen Anbausystemen.
Die „klassische Gentechnik“ hat die versprochenen Ziele wie den Rückgang der
Pestizidanwendung bei gleichzeitig steigenden Erträgen bislang nicht erfüllt.
Die Realität der „Gentechniklangzeitversuche“ in der Praxis auf dem gesamten
amerikanischen Kontinent, sind keineswegs Ertragssteigerungen, sondern
wachsender Pestizideinsatz und stärkere Abhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern
von riesigen Agrarkonzernen. So stieg der Glyphosateinsatz in Argentinien
zwischen 1996 und 2003 um ungefähr das 56-fache an, seitdem die Bäuerinnen und
Bauern dort auf Roundup-Ready Soja umgestellt hatten[1].
Ähnliche Versprechen wie die Reduktion des Pestizideinsatzes und die Anpassung
von gentechnisch veränderten Pflanzen an die Klimaveränderungen werden auch bei
der Diskussion um die neuen Gentechniken gemacht. Interessenvertreter*innen der
neuen Gentechnik werben derzeit mit präziseren Eingriffsmöglichkeiten und
möglichen salz- und trockenheitsresistenten Pflanzen. Ergebnisse die die neue
Gentechnik bisher lieferte, sind hingegen beispielsweise nach dem Anschnitt
nicht braun werdende Champignons und nicht braun werdender Salat. Auf
gentechnische Veränderungen die durch die neue Gentechnik erzielt wurde, sind
allein durch die drei Konzerne Bayer/Monsanto, DowDuPont und Calyxt bereits über
110 Patente angemeldet[2]. Die Konstrukte, die mit der neuen Gentechnik
hergestellt werden, sind eng mit der intensiven, auf Monokulturen fokussierte,
industriellen Landwirtschaft, also jene die gegen statt mit der Natur arbeitet,
Ressourcen frisst und Humus verbraucht statt vermehrt, verknüpft.
Seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Juli 2018 ist klar, dass
auch die neuen Gentechniken als Gentechnik einzustufen sind und dementsprechende
Verfahren wie Crispr/Cas nach der bisherigen EU-Gentechnik-Gesetzgebung
reguliert werden müssen. Damit kann den Ansprüchen des Vorsorgeprinzips, wonach
mögliche Risiken für Mensch und Umwelt ausgeschlossen werden sollen, bevor etwas
zugelassen wird, Rechnung getragen werden. Die im Gesetz verankerte
Kennzeichnungspflicht, dass Lebensmittel mit Gentechnik gekennzeichnet werden
müssen, bildet die Grundlage der Wahlfreiheit zwischen gentechnisch veränderten
Erzeugnissen und Gentechnikfreiheit.
Die Ablehnung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) ist in der
Bevölkerung konstant sehr groß. Da auch der Gentechnikindustrie klar ist, dass
Lebensmittel die als Gentechnik gekennzeichnet sind, eine schlechte
Marktausgangssituation in der EU haben, wurde dementsprechend versucht,
einerseits den Begriff der Gentechnik aufzulösen und mit „neuen
Züchtungsmethoden“ zu umschreiben, sowie die neuen Gentechniken in ihrem Vorgang
nicht als Gentechnik zu definieren. Gleichzeitig wird versucht, auf EU-Ebene die
Gentechnikgesetzgebung zu auszuhebeln und die „Freisetzungsrichtlinie“ der EU-
Gentechnikgesetzgebung zu öffnen und zu verändern um den Marktzugang und den
Anbau von Gentechnik in der EU zu erleichtern.
- Die Bestrebung durch die Veränderung der EU-Gentechnik-Gesetzgebung, die
Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen zu erleichtern und damit
die Gentechnik-Gesetzgebung zu schwächen, lehnt die Grüne Jugend
Brandenburg strikt ab.
- Die Grüne Jugend Brandenburg hält das Vorsorgeprinzip, welches die
„Rückholbarkeit“ und Rückverfolgbarkeit von gentechnisch veränderten
Organismen einschließt, die Kennzeichnungspflicht von Gentechnik und die
Wahlfreiheit für Bäuerinnen und Bauern als auch für Verbraucher*innen, für
zivilgesellschaftliche Errungenschaften und grünes Kernelement, welche
entschieden verteidigt werden müssen. Insbesondere die
Kennzeichnungspflicht von gentechnisch veränderten Organismen geht bisher
noch nicht weit genug und schließt die verpflichtende Kennzeichnung von
tierischen Produkten, die mit Gentechnik im Tierfutter erzeugt wurden,
noch nicht ein.
- Strenge Reglements zur Anwendung von Gentechnik im offenen System stellen
keine Einschränkung für eine Forschung und Wissenschaft die am Gemeinwohl,
statt an der Patentierung von Technologien interessiert und orientiert
ist, dar.
- Die Grüne Jugend Brandenburg tritt dafür ein, dass sich die Agrar- und
Ernährungswissenschaften stärker an den Bedürfnissen einer bäuerlichen und
ökologischen Landwirtschaft ausrichten. Statt des wissenschaftlichen Fokus
auf „technologischen Innovationen“ wie der Gentechnik, steht die Grüne
Jugend Brandenburg für die Stärkung von agrarökologischen Ansätzen und dem
Ökolandbau als Pionier*innenbereich der Ökologisierung der Landwirtschaft,
zu Agroforstsystemen oder für sozioökonomische Innovationen wie bspw.
solidarische Landwirtschaften (SoLawi), landwirtschaftlichen Betrieben in
gemeinnützigen Trägerschaften oder suffizienteren Lebensstilen. Außerdem
bieten anpassungs- und widerstandsfähige Anbausysteme sowie eine
Erweiterung des Anbauspektrums zukunftsfähige Lösungsansätze.
- Die genannten systemischen Ansätze müssen vor dem Hintergrund der enormen
globalen Herausforderungen priorisiert und bei der Förderung und Forschung
fokussiert werden.
- Für die Anwendung von Technologien in offenen Systemen der Landwirtschaft
und Natur, muss das Prinzip der Umkehrbarkeit gelten, sonst kann diese im
Sinne der Verantwortung für zukünftige Generationen gesellschaftlich nicht
verantwortet werden.
[1] Benbrook, C. M. 2005: Rust, resistance, run down soils, and rising costs –
Problems facing soybean producers in Argentina. AgBioTech InfoNet Technical
Paper no. 8. http://www.biosafety-info.net/article.php?aid=220
[2] Then, C. 2019: Neue Gentechnik und Pflanzenzucht - Patente-Kartell für große
Konzerne. Testbiotech. München. https://www.forumue.de/wp-
content/uploads/2019/06/5_Neue-Gentechnikverfahren-und-Pflanzenzucht_Then.pdf
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